Mein Vater, ein Werwolf


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Mein Vater, ein Werwolf

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Bernhard Riedmann/ DER SPIEGEL

 

13.04.2014  | Von Cordt Schnibben

Was passiert, wenn man entdeckt, dass der eigene Vater ein Verbrecher ist? Was ist, wenn man ihn nach seinem Tod als einen Menschen kennenlernt, der so fremd ist, wie ein Vater nie sein kann?

Kann man sein Leben lang an einem Artikel schreiben? Je länger ich an dem Textsaß, der in der neuen Ausgabe des SPIEGEL erschienen ist, desto mehr hatte ich das Gefühl.

Es geht darin um das Vorleben meiner Eltern, ihren Fanatismus, ihre Weltanschauung, ihr Verbrechen. Vor mehr als zehn Jahren hatte ich Hinweise darauf gefunden, dass sie – beide tot – als Handlanger der letzten Stunde unterwegs waren für das untergehende Nazi-Regime, am Ende des Zweiten Weltkrieges. Vor einigen Monaten fand ich schließlich Unterlagen im Staatsarchiv in Oldenburg über einen Mordprozess gegen meinen Vater. Zusammen mit anderen hat er in den letzten Kriegstagen einen Bauern umgebracht, der sich darauf freute, dass die Alliierten bald sein Dorf einnehmen würden. Auch meine Mutter gehörte zu dieser Kampfgruppe von Freiwilligen.

Seine Eltern aus Vernehmungsprotokollen und Gerichtsakten genauer kennenzulernen als zu ihren Lebzeiten, ist keine schöne Sache. Noch unangenehmer ist es, wenn man dadurch in Zweifel gerät darüber, wer man selbst ist. Wie sehr können Nazi-Eltern ihren Sohn in den ersten Jahren in seinem Gefühl für Gut und Böse, für Eigensinn und Gemeinsinn, für Moral und Verantwortung prägen? Ab dem 13. Lebensjahr war ich ein unabhängiger, auf mich allein gestellter Junge, ein Waisenkind in einer großen Familie, die nur so tat, als sei sie eine.

Im Blick zurück kann ich sagen, meine Produktivität, mein Behauptungswille kam aus dieser Einsamkeit. Und meiner manischen Neugier setzte niemand mehr Grenzen. Nachdem ich mich endlich geistig von meinem Vater getrennt hatte, war ich nicht wirklich frei, vieles, was ich dachte und tat, ergab sich bloß durch eine simple Wendung um 180 Grad, aber – aus heutiger Sicht – bin ich mehr dankbar als verbittert über diesen Zwang zur Neugier. So versuche ich, mir mein Leben schönzubiegen. In dunklen Momenten verfluche ich die Macht, mit der meine Eltern in den letzten Monaten wieder nach mir greifen. Sie zwingen mich, mein Leben neu zu betrachten; was mutig, logisch und nobel schien, steht nun unter Verdacht. Meine Radikalisierung in den sechziger Jahren, der Aufstand gegen Autoritäten, die sozialistischen Visionen – in vielem bin ich ihnen näher, als ich bisher dachte. In mir tobt ein Historikerstreit, der mich ankotzt; ich bin der bessere Mensch, okay, daran halte ich mich fest.

Warum habe ich den Text über meine Eltern nicht eher geschrieben, warum habe ich ihn jetzt geschrieben, warum habe ich ihn überhaupt geschrieben? Als ich mich endlich aufgemacht hatte, den Hinweisen nachzugehen, gab es immer wieder Phasen des Zweifels: Gehört das in die Öffentlichkeit? Ja, denn je länger ich ihre Geschichte recherchierte, desto öfter traf ich auf Leute, die auch dabei waren, ihre Eltern zu durchleuchten. Da schlummern viele Geschichten, die den ganz gewöhnlichen Faschismus und seine Helfer erhellen. Bei mir kommt hinzu: Als Journalist, so scheint es mir, habe ich viele Texte geschrieben, die um meine unerzählte Geschichte kreisten wie ein Hai auf der Suche nach Beute. In den Geschichten anderer Menschen Aufschlüsse zu finden über sich selbst, ist für viele Reporter immer wieder der Antrieb fürs Schreiben – bis es Zeit wird, über sich selbst zu schreiben.

Sein eigenes Leben zu recherchieren und auch sein Vorleben, die eigene Persönlichkeit so zu durchleuchten, wie wir es sonst mit wildfremden Menschen machen, birgt die Gefahr, zu gnädig zu sein oder zu ungerecht. Mir war das nur möglich mit therapeutischer Hilfe. In vielen Gesprächen mit Freunden und anderen Täterkindern habe ich zudem versucht, auch von außen auf mich zu schauen – bis mir diese Opferrolle, in die ich unweigerlich immer geriet, auf die Nerven ging. Als wären meine Eltern gerade gestorben, als sei ich seelisch schwer erkrankt, als sei mein Leben eine Riesenstory, so schauten sie auf mich.

Warum diese Story dann noch aufschreiben? Weil ich hoffe, auf diese Weise das, was ich in den letzten Monaten in mich hineingesaugt habe, wieder loszuwerden. Meine Hoffnung, vielleicht eine Illusion: nicht mehr zu weinen, wenn ich über meine Eltern rede. Denn das ist lächerlich.

Darf man über seine Eltern schreiben, obwohl sie sich nicht mehr verteidigen können? Ja, weil mein Vater sich vor Gericht verteidigen konnte, weil sich beide in ihren Briefen verteidigt haben, und weil sie die Chance verpasst haben, mir ihr Leben zu erklären, ihre Hoffnungen, ihre Überzeugungen, ihre Irrtümer.

Was mir allerdings ein schlechtes Gewissen macht, ist meine Feigheit, sie konkreter und eindringlicher nach ihrer Bewunderung für Hitler und denNationalsozialismus und nach ihrer Rolle im Regime zu befragen. Viele von uns haben damit gewartet, bis die Eltern tot sind. Das ist unser Versagen.

 

DER SPIEGEL

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Es bleibt Ihnen unbenommen, anderer Meinung zu sein, nur fürchte ich, Sie haben den Inhalt meiner Äusserung nicht ganz verstanden: Den ersten Stein werfe, wer heute sicher ist, keiner aktuellen politischen Zielrichtung hinterher zu laufen und jedweder political correctness zu widerstehen. Kann das irgendeiner von sich behaupten? Wohl kaum. An eine Sache fest zu glauben, an ihre Richtigkeit ungeachtet aller Bedenken, das gibt es auch heute noch. Und die Einstellung, dass wer nicht dafür, eben der Feind sei. Gerade der moralische Rigorismus linker 68’er hat sehr viel mit Selbstgerechtigkeit zu tun, dafür wenig mit individueller Gerechtigkeit gegenüber Opfer UND Tätern. Das öffentliche Zurschaustellen eigener Familientragödien bewerte ich halt anders als Sie. Man kann aber auch Zugestandnisse dahingehend machen, dass Journalisten vielleicht auch einen Auftrag zur Aufklärung wahrnehmen und daher im eigenen Umfeld nicht zwangsläufig Halt machen. Das wäre akzeptabel. Es fragt sich dann nur, warum er damit sp spät kommt. Da liegen andere Motive näher.

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